Zerstörende Säuberungswut
Der Nachbar ist beim "carpinando", am bewaldeten Hang. Den
Unterwuchs, Büsche, Kletterpflanzen, darunter Heilpflanzen wie Guaco
und auch Vanille-Orchideen, hat er nach seinem Beschluß, ein Haus zu
bauen, als erstes entfernen lassen. Gut zwei Hektar hat er nach
seinen Vorstellungen gesäubert. Hat die Nistplätze von Hummeln,
Spechten und Eulen umsäbeln lassen, weil es Totholz ist. Was für
eine dämliche Bezeichnung, Totholz, in dem
oft mehr Leben steckt, als in einem im Saft stehenden Baum. Auch
dünnere Nachwuchsbäumchen sind seiner Säuberungswut zum Opfer
gefallen. Gut zwei Hektar Wald hat er in eine Wüste mit
Galeriebäumen verwandelt und den Lebensraum von Chamäleon,
Gürteltier und anderen Vertretern der reichen Flora und Fauna des
Atlantischen Regenwaldes zerstört. Nein, es braucht längst keinen
Kahlschlag, um das zu bewerkstelligen.
Weil er den Unterwuchs beseitigt hat, gelangt mehr Sonne und Wärme
zum Boden, der trockener wird und aus dem Gleichgewicht kommt. Die
Folge davon sind geschwächte und absterbende Bäume. Ein kleiner
Wind und tropische Regenfälle reichen aus, um sie umzuwerfen. Sein
Galeriewald lichtet sich zusehends, ohne dass er es bemerkt.
Irgendwann werden die Wurzeln der restlichen Bäume nicht mehr
ausreichen, um den Hang vor Muren zu schützen.
Er weiß nicht, dass er ohne Totholz keine Hummeln hat, ohne
"Mamangabas" (Hummeln) seine Maracujas nicht bestäubt
werden und er deshalb auch keine Früchte ernten wird, so wie er es
sich noch ausmalen mag.
Warum sind wir Menschen so doof und zerstören alles rund um uns
herum, in der irrigen Annahme auf diese Weise für Ordnung zu sorgen?
Er ist nicht der einzige Städter, der so reagiert. Sie kaufen sich
ein Grundstück im Grünen, um sich vom Stadteinerlei zu erholen und
machen sich dann als Erstes an die alles vernichtende
Säuberungsaktion, schaffen ein Abbild ihrer toten Stadtumgebung.
Erst dann legen sie Hacke und Buschmesser befriedigt zur Seite und
betrachten voller Stolz ihre nun sich im Todeskampf befindende
Umgebung. Zu dem Zeitpunkt wollen sie nichts davon ahnen, dass sie
damit den Grundstein für künftige Probleme gelegt haben.
Wahrscheinlich gestehen sie sich auch später ihr Dazutun nicht ein,
werden sie die Augen schließen und Weltklima, Industrie und die
Abholzung des über 4.000 Kilometer entfernten Amazonas-Regenwaldes
dafür verantwortlich machen.
Noch bietet sein Hangwäldchen ein wenig Schatten, in dem er jetzt
die Hacke schwingt, um die von ihm als "Unkraut"
eingestuften Bodendecker und andere Pflänzchen zu entfernen.
"Carpinar" nennen sie das, was in der Landwirtschaft
durchaus seinen Sinn hat. Das Ergebnis davon in seinem Hangwald wird
indes ein Schlammeinbruch sein, wenn sich der nächste Sommerregen
mit 50mm oder mehr über uns ergießt. Die großen, harten Tropfen
werden sich zu Rinnsälen sammeln und die aufgerissene Erde mit sich
hinab gen Straße reißen. Da werde ich dann unter der Woche, wenn er
in seiner Stadtwohnung sitzt, stehen und den Schlamm seines Hanges
aus den Abflußgräben beseitigen, damit unsere Feldwegstraße nicht
zum Reißbach wird und unbenutzbar wird.
Fruchtlos waren meine Bemühungen bisher, ihn über die Folgen seines
Handelns aufzuklären. Mit etwas Abstand ist zu sehen, dass sein
Grundstück schhon jetzt mit etlichen absterbenden Bäumen durchsetzt
ist, während das unberührte Nachbargrundstück im schönsten Grün
dasteht. Er will davon nichts wissen. Denkt sich wahrscheinlich, dass
Schlamm und Muren nur andere betreffen und sein einstiger gesunder
Wald davon verschont bleibt, weil ja noch ein paar Bäume übrig
sind.
Wie dumm wir Menschen sind. Wir müssen die Folgen zuerst am eigenen
Leibe spüren, bevor wir an unserem Handeln etwas ändern. Vielleicht
wird er seine Besiedlungsversuche des Atlantischen Regenwaldes
aufgeben, wenn er irgendwann den Muren nicht mehr Herr wird, keine
Früchte mehr erntet und "pragas" ihn in Atem halten.
"Plagen" wie Pilzbefall seiner Fruchtbäumchen, verstärktes
Auftreten von Raupen, Mücken, Bremsen und auch Schlangen sind die
natürliche Folge des zerstörten Regenwald-Lebensraumes, der aus dem
Gleichgewicht geraten ist. Schade nur, dass es erst dazu kommen muss.
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