Stillstand im Regenwald

Die Hitze hüllt selbst die sonst so unermüdlichen Grillen und Zikaden in ein dumpfes Nichtstun ein. Keinen Mucks geben sie von sich.
Während die Sonne im Zenit steht, schreit mich in dem sonst Tag und Nacht mit allerlei Geräuschen gefüllten Regenwald eine unheimliche Stille an. Kein Vogel bringt die Kraft für einen Pieps auf. Keine Äste knacksen, keine Blätter wedeln und in mir ruft alles nach irgendeinem Zeichen, dass sich die Welt noch dreht.
“Hollerreiduljöh gugu. Leben wo bist du?”, rufe ich in die alles umschlingende Stille hinein. Ich höre, was ich rufe. Die Zeit-Raum-Kombination muss wider dem Anschein doch noch existieren.
Während sich Hund und Katz und alles Getier irgendwo an einem schattigen Plätzchen in dieser stillen Welt der Siesta hingeben, flüchte ich vor der sengenden Sonne ins Haus. Automatisch lande ich vor dem Regal mit den Musik-CDs. Bei gerade einmal 35 Quadratmetern Wohnfläche keine große Kunst. Ich könnte die unbewegte Luft mit ein wenig Musik anreichern, denke ich mir und schnappe mir den Haufen dieser in bunten Hüllen steckenden runden Scheiben. Adriano Gelentano ist der erste, der mir wenig später aus den Laptoplautsprechern seinen Liebesschmerz entgegen singt. Als Gegenpol gibt es im Anschlulß Queen on Fire, Live at the Bowl 1982.
Dann kommt Sissi Perlinger. Bei ihrem Song "Fliesen" muss ich laut lachen. Wie passend. Ich versehe gerade die geflieste Duschecke mit Mosaikquadraten, die ich gestern aus den vom Nachbarn weggeworfenen Fliesenresten geschnitten habe. Damit wird auch unser Bad ewig mit meiner Fliesenarbeit verbunden sein.
Auch wenn es drinnen längst nicht so heiß ist wie draußen, zieren Milliarden große und kleinste Schweißtropfen mein Gesicht, meine Arme und den Rest meines Körpers. An der Wirbelsäule treffen sich einige und sausen achterbahnartig die Kuhle hinunter bis sie in Hinternnähe vom Hosenbund aufgefangen werden, während meine Fliesenmosaikzierleiste langsam wächst.
Mit Seed schließe ich ab. Mein Bedarf an Ruhetötern ist für heute gestillt. Inzwischen steht die Sonne ein wenig tiefer, fangen die ersten Vögel wieder mit ihrem Geschwitzer, die Grillen mit ihrem Gezirpe und die Zikaden mit ihrem Geschrille an. Die Regenwaldwelt dreht sich wieder.

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